Helikoptereltern – gehört ihr auch dazu?
Kaum dass das Kind geboren ist, sind erstaunlich viele Eltern schon besorgt, dass sie es zu sehr verwöhnen könnten. Da gibt es etwa Bedenken, ob sie das Kind ständig umhertragen sollten, oder ob es damit möglicherweise schon frühzeitig verwöhnt und verzogen würde. Und sollte man nach dem Kind schauen, wenn es schreit, oder würde es dadurch vielmehr lernen, dass es nur zu schreien braucht, um alles zu bekommen, was es will?
Paradoxerweise sind es dann häufig genug genau dieselben Eltern, die später beim älter gewordenen Kind solcherlei Befürchtungen über Bord werfen und weder Maß noch Mitte kennen. Sie sorgen sich permanent, planen alles minutiös, begleiten ihr Kind auf Schritt und Tritt und müssen unbedingt jeden Aspekt seines Heranwachsens kontrollieren. Helikoptereltern – im ständigen Kreisflug um die lieben Kleinen.
Helikoptereltern – Ein Phänomen der heutigen Zeit?
Viele Fachleute sehen die Entwicklung mit Sorge: Helikoptereltern lassen ihre Kinder nicht alleine groß werden, sondern umkreisen sie permanent. Für sie ist stetige Kontrolle der Garant für Sicherheit und Erfolg. Die Bezeichnung „Helikoptereltern“ kommt daher, dass sie ihre Kinder ständig schützend umkreisen. Allerdings verwandeln sie sich auch schnell mal in einen Transporthubschrauber, der das Kind sicher und zuverlässig von A nach B transportiert. Anscheinend ist es dem Kind nicht zuzumuten, die paar hundert Meter alleine zum Kindergarten, zur Schule oder zum Sportverein zu gehen. Doch wie soll der Sprössling so jemals lernen, sich im Straßenverkehr sicher zu bewegen, wenn er diesen nur vom Blick aus einem Autofenster kennt?
Kindern, die ihren Schulweg täglich im Elterntaxi zurücklegen, werden viele wichtige Erfahrungen vorenthalten. Was war das früher schön, als wir noch selbstständig in die Schule und wieder nach Hause gingen und dabei Freundschaften knüpften, Pläne für den Nachmittag schmiedeten oder über Lehrer schimpften! Kindern von Helikoptereltern bleibt dies verwehrt. Doch darüber hinaus, wird ihnen auch die Chance genommen, den Schulweg jeden Morgen und Nachmittag alleine zu bewältigen, um Sicherheit und Selbstvertrauen zu gewinnen. Jedes Kind ist irgendwann in der Lage, alleine in die Schule zu laufen oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Wenn sich mehrere Kinder aus dem Viertel zusammenschließen, verringert das etwaige Risiken darüber hinaus noch weiter.
Es gibt aber noch eine weitere Art von Hubschraubereltern: die sogenannten Rettungshubschrauber. Sie möchten ihr Kind vor jedem Unheil bewahren, was ja ein gesunder elterlicher Instinkt ist. Allerdings lernen Kinder aus Erfahrung. Wenn das Kind zum x-ten Mal seinen Turnbeutel vergessen hat, bekommt es dieses Mal vom Lehrer eben einen Anpfiff. Das ist garantiert lehrreicher, als wenn Mama ihn zum wiederholten Male mit dem Auto hinterherkarrt.
Helikoptereltern – überbehütete Kindheit
Aus der Angst um Kleinkinder hat sich mittlerweile eine ganze Sicherheitsindustrie entwickelt. Doch wo verläuft die Grenze zwischen gesunder Vorsicht und Überbehütung?
Deutschlandweit gibt es immer weniger Kinder, dafür aber immer mehr Ratgeber über Kindererziehung. Früher tobten Kinder auf der Straße, im Zeitalter von Smartphone, Tablet und Co. verbringen sie aber immer weniger Zeit an der frischen Luft und leiden an Bewegungsmangel. Fürchten Eltern zu Recht um die motorischen und kommunikativen Fähigkeiten ihres Nachwuchses?
Helikoptereltern in der Schule
Teilweise geht das Engagement von Helikoptereltern sogar so weit, dass sie sich bei Lehrern oder bei Elternabenden über alles und jeden beschweren. Viele Lehrer können bestätigen: Früher waren die Schüler selbst daran schuld, wenn sie schlechte Noten nach Hause brachten. Heute geben Helikoptereltern den Lehrern die Schuld. Selbstverständlich wird es immer die eine oder andere ungerechte Note geben, aber hier wird den Kindern ein verheerendes Beispiel gegeben. Nie liegt etwas an ihnen selbst, sondern immer an anderen. Nicht selten wird da sogar ans Ministerium geschrieben, wenn der Nachwuchs mal nur eine Drei im Diktat heimbringt.
Warum machen Eltern so etwas?
Das Phänomen einer derartigen Überbehütung tritt immerhin bei bis zu 20 % aller Eltern auf, besonders häufig, wenn sie Einzelkinder haben. Der Grund ist so einfach wie naheliegend: Die Eltern haben Angst um ihr Wertvollstes – ihr Kind.
Allerdings werden eine Vielzahl weiterer Gründe für dieses Phänomen diskutiert. Zum Beispiel der, dass Eltern heutzutage recht schnell wieder in ihren Beruf zurückkehren. Weil sie dadurch tagsüber nicht für ihre Kinder da sein können, entwickeln sie ein Schuldgefühl, dass sie kompensieren indem sie das Kind abends förmlich mit Liebe und Fürsorglichkeit überschütten.
Ein anderer Lösungsansatz sieht die Ursache eher darin, dass die Eltern einen mangelnden eigenen Lebenserfolg verspüren, und ihren Ehrgeiz in der Folge auf das Kind projizieren. Der Nachwuchs soll schaffen soll, was die Eltern nicht vermochten.
Zudem läuft die Familienplanung heute ganz anders als noch vor 50 Jahren. Damals waren Kinder für Paare nahezu eine Selbstverständlichkeit. Bald nach der Eheschließung traten die Kinder auf den Plan. Heutzutage wird der Nachwuchs hingegen minutiös geplant. Zunächst wird sich um die eigene Karriere gekümmert. Wenn das Paar dann der Meinung ist, für ein Kind bereit zu sein, soll alles auch wirklich zu 100 % funktionieren. Um diesen Anspruch zu verwirklichen, bedarf es jedoch maximaler Kontrolle.
Konsequenzen
Natürlich hat dieses Verhalten auch Folgen. Mitunter sogar gravierende: Eltern, die ihr Kind überbehüten, schließen sich zusammen und üben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss aus, beispielsweise auf das Schulsystem. Doch dieser Gedanke lässt sich noch weiterspinnen: Wohin geht eine Gesellschaft, die zu einem nicht geringen Teil aus permanent gedrillten, verwöhnten, von allem verschonten und fremdbestimmten Kindern besteht? Was bedeutet es für unser gesellschaftliches und staatliches Gefüge, wenn ein Großteil der Bevölkerung eine Anspruchs- und Versorgungshaltung an den Tag legt, ohne je die Prinzipien von Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit verinnerlicht zu haben?
Das Selbstbewusstsein
Es versteht sich von selbst, dass so ein elterliches Verhalten auch für das Kind selber nicht ohne Konsequenzen bleibt: Wie muss es sich anfühlen, wenn die Eltern einen auf Schritt und Tritt kontrollieren und begleiten? Irgendwann muss wohl in jedem überbehüteten Kind der Verdacht keimen, dass seine Eltern ihm nichts zutrauen. Das hat Folgen: Das Kind wird daran gehindert, eine eigene Problemlösungskompetenz und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Stattdessen wird es davon abhängig sein, dass andere seine Probleme lösen. Außerdem, aber auch damit zusammenhängend, wird es dazu führen, dass solche Kinder sich gerne von vorne bis hinten bedienen lassen. Sie sind nicht nur darauf angewiesen, dass andere ihre Probleme lösen, sie denken vielmehr, dass sie ein Recht darauf haben, andere auszunutzen. Wenn die Eltern (oder später der Partner, Freunde usw.) einmal nicht beispringen können oder wollen, spielen sich Dramen ab. Und wenn mal etwas schiefgeht, ist es niemals ihre Schuld. Sie geben die Verantwortung an andere ab, werden faul, träge sowie lust- und einfallslos.
Solch eine Haltung wird später im Leben zu einem unsanften Erwachen führen. Irgendwann kommt der unvermeidbare Sprung ins kalte Wasser, der Punkt, an dem Mama und Papa ihrem Sprössling nicht mehr alles abnehmen können. Ab dann ist das Kind mehr oder weniger auf sich allein gestellt, und es steht ihm nun eine schwere Phase bevor. Bei manchen kommt dieser Moment jedoch erst beim Berufseinstieg oder an der Universität.
Verinselung der Kinder
Ein Effekt, der bei Kindern von Helikoptereltern auftreten kann, ist das, was Soziologen eine „Verinselung“ nennen. Früher spielten Kinder auf der Straße oder im Kinderzimmer mit ihren Freunden – natürlich ohne Eltern. Heutzutage hingegen wird das Kind von A nach B kutschiert und ist praktisch immer in Begleitung mindestens eines Elternteils – sogar auf dem Spielplatz. Mama und Papa fungieren als Privatanimateure der Kinder und wähnen sich für deren Glück und Unterhaltung zuständig. Nur noch selten steht das Kind vor der Situation, seine Freizeit selbstverantwortlich zu gestalten.
Woran erkennen Eltern, dass sie Helikoptereltern sind?
Fragt ihr euch nun, ob ihr möglicherweise selbst Merkmale von Helikoptereltern aufweist? Als selbst Betroffener ist das gar nicht so einfach zu erkennen. Alle Eltern wollen schließlich das Beste für ihr Kind. Das macht sie noch lange nicht zu Helikoptereltern. Auch hier kommt es wohl wieder auf die ideale Mischung aus laissez faire und Kontrolle an. Die Schwierigkeit besteht darin, das richtige Verhältnis zu finden.
Wenn du jedoch feststellst, dass du deinem Kleinkind bei jedem Schritt hinterherläufst, um es vor einem eventuellen Sturz zu bewahren, wenn du mit ihm auf dem Spielplatz im Sand spielst, obwohl es dort genug andere Kinder gibt, dann könnte dies darauf hindeuten, dass du es mit dem Umsorgen deines Babys etwas übertreibst.
Ein weiteres Zeichen: Helikoptereltern bringen sich überdurchschnittlich viel in der Schule ein. Sie kennen die Namen aller Lehrer, wissen ganz genau, was in welchem Fach unterrichtet wird, und haben die volle Kontrolle über Hausaufgaben und derzeitigen Unterrichtsstoff. Sie schließen mit den Lehrern Freundschaft und sind überdurchschnittlich oft bei schulischen Veranstaltungen, Ausflügen usw. präsent und aktiv. Und natürlich nehmen sie es persönlich, wenn eine Note oder eine Bewertung in der Schule mal nicht so ausfällt wie erhofft.
Auch im privaten Bereich versuchen solche Eltern, die Kinder durch präzise Kontrolle zum vermeintlichen Erfolg zu führen. Sie begleiten ihren Nachwuchs zu jedem Training und zu jedem Wettkampf. Auf diese Weise hat das Kind nie die Chance, mal einen Weg alleine zu gehen oder selbstständig ein Hobby zu verfolgen.
Helikoptereltern neigen dazu, nicht nur ihren eigenen Tagesablauf bis ins kleinste Detail zu planen und zu organisieren, sondern auch den ihrer Kinder, damit der Nachwuchs perfekt gefördert und ihm nicht womöglich langweilig wird.
Wenn ihr euch in dieser Beschreibung wiederfindet, solltet ihr euch möglicherweise Gedanken machen.
Wie viel Überwachung brauchen die Kinder?
Natürlich geht es nicht darum, kleine Kinder sich selbst zu überlassen. Gerade wenn sie noch ganz klein sind, können sie ernsthafte Gefahren noch nicht erkennen und kommen ohne ihre Eltern nicht zurecht. Das gilt aber nicht für die gesamte Kindheit und zu jedem Zeitpunkt in gleichem Maße. Irgendwann müssen die Eltern einen geordneten Rückzug antreten und dem Kind Raum geben, sich selbst und die Welt zu erfahren. Auf der einen Seite steht Fürsorge, Schutz und Kontrolle, auf der anderen Seite brauchen Kinder die Möglichkeit, sich zu entwickeln und selbständiger zu werden. Wenn auch allmählich und in kleinen Schritten.
Wie das genau aussieht, ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Das eine Kind will vielleicht mit 5 schon alleine in den Kindergarten um die Ecke gehen, das andere Kind ist mit 6 schon in der Lage, mit einem Freund alleine auf einem nahegelegenen Spielplatz zu spielen. Das nächste Kind traut sich mit 10 schon zu, eine Stunde alleine zuhause zu bleiben. Hier geht es im Einzelfall darum, Lösungen zu finden, die dem Kind auf der einen Seite ermöglichen, seine eigenen Fähigkeiten und Grenzen auszuloten, und gleichzeitig, möglichst unsichtbar, seine schützende Hand über es zu halten. Vielleicht kann die Mutter des Spielplatzfreundes auf Abruf bereitstehen, um beide Kinder abzuholen. Wenn Kinder diese Selbständigkeit zeigen und wünschen, dann sollten Eltern das unterstützen und nach Möglichkeit nicht abblocken.
Gerade am Anfang mag es etwas Überwindung kosten, Kinder alleine durch die Gegend laufen zu lassen. Doch je mehr wir ihnen behutsam mehr Selbstständigkeit ermöglichen, desto eher werden sie alle notwendigen Fähigkeiten entwickeln, um immer besser alleine zurechtzukommen. Je mehr wir Kindern zutrauen und je mehr Freiraum wir ihnen geben, desto eher haben sie die Chance, eine freie und unbeschwerte Kindheit zu erleben, so behütet und doch frei wie wir früher.
Fazit
Es gibt das Sprichwort: „Sind die Kinder klein, gib ihnen Wurzeln, sind sie groß, gib ihnen Flügel“, und dies kann als ein guter Leitspruch für Eltern dienen. Im ersten Lebensjahr können und sollten Babys gerne nach Strich und Faden verwöhnt, behütet und beschützt werden. In dieser Zeit gibt es dazu ohnehin keine Alternative, da die Kinder vollständig auf Mama und Papa angewiesen sind. Sie brauchen unendlich viel Liebe und Hautkontakt. Wenn die Kinder älter werden, dürfen die Eltern dann aber lockerer werden und sollten die Kinder in ihrer Selbstständigkeit fördern. Dabei können sie sich möglicherweise von Gedanken an ihre eigene Kindheit leiten lassen. Wie war es früher bei ihnen? Wurden sie genauso bemuttert? Hat es ihnen geschadet, unbeaufsichtigt mit Freunden draußen zu spielen? Natürlich ist die Welt heute eine andere, aber Gefahren gab es damals wie heute. Helikoptereltern müssen sich ihrer eigenen Angst stellen und lernen, ihren Kindern einen Vertrauensvorschuss zu geben. Sie sollten sie so viel beschützen und behüten wie tatsächlich unbedingt nötig, aber so viel Freiheit geben wie irgendwie möglich. Dann entwickeln die Kinder Selbst- und Risikobewusstsein und die Kompetenz mit Gefahren und Problemen umzugehen.
Wenn ihr Helikoptereltern seid, wollt ihr alles für euer Kind geben, um ihm den Pfad zu einem erfüllten, glücklichen und erfolgreichen Leben zu ebnen. Daran ist nichts Verwerfliches. Allerdings solltet ihr möglicherweise noch einmal darüber nachdenken, ob eure gewählte Strategie tatsächlich zielführend ist. Geht auch schonungslos mit euch selbst ins Gericht, inwieweit ihr möglicherweise eigene Ziele auf das Kind projiziert
Es ist nicht eure Aufgabe, das Glück für eure Kinder zu finden. Es ist eure Aufgabe, ihnen das Rüstzeug zu geben, ihr eigenes Glück zu finden.
„Sind die Kinder klein, gib ihnen Wurzeln, sind sie groß, gib ihnen Flügel"