Frühkindliche Reflexe: Alles, was du darüber wissen musst
Bereits im Mutterleib wird dein Baby auf das Leben nach der Geburt optimal vorbereitet - dank frühkindlicher Reflexe. Hättest du das gewusst? Doch nicht alle frühkindlichen Reflexe bleiben deinem Baby auch erhalten. Der Moro Reflex, der tonische Labyrinth Reflex, die Liste der frühkindlichen Reflexe ist lang und die meisten davon hast du vermutlich noch nie gehört. Trotzdem ist es wichtig, einen Überblick über die Reflexe zu haben, denn an ihnen kannst du die Reifung deines Babys erkennen. Wir verraten dir in diesem Artikel, welche Reflexe angeboren sind, welche sich einige Wochen oder Monate, nachdem dein Kind auf der Welt ist, wieder zurückbilden und welche frühkindlichen Reflexe wiederum bis ins Erwachsenenalter eine Rolle spielen.
Was sind frühkindliche Reflexe?
Kommen wir aber erst einmal zur Theorie und der Frage: Was sind eigentlich frühkindliche Reflexe? Tatsächlich handelt es sich hier um eine smarte Wandlung der Natur. Die Reflexe sorgen nämlich dafür, dass der Säugling nach der Entbindung überlebensfähig ist – und das, obwohl das Gehirn noch unterentwickelt ist. Denn Babys können in den ersten Wochen ihres Lebens kaum etwas “bewusst” oder kontrolliert machen. Die frühkindlichen Reflexe sind automatische Reaktionen, die alle lebenswichtigen Aufgaben wie Nahrungssuche, Nahrungsaufnahme aber auch Selbstschutz regeln und somit das Überleben des Säuglings sichern.
Vielleicht hast du schon einmal beobachtet, dass dein Kind deinen Finger mit der Faust fest umklammert, wenn du die Innenfläche der Hands berührst? Oder, dass dein Baby den Kopf dreht, wenn du ihm sanft über die Wange streichst? All das sind Reflexe, die durch innere oder äußere Reize ausgelöst werden. Über die Bewegung dahinter denkt der Säugling nicht nach, es sind angeborene Bewegungsmuster. Sie passieren also ganz ohne Steuerung und laufen daher auch immer nach dem gleichen Muster ab.
Warum bauen sich manche frühkindliche Reflexe nach der Zeit wieder ab?
Manche der angeborenen Reflexe verschwinden in den ersten Lebensmonaten wieder. Nämlich dann, wenn die frühen Entwicklungsstufen der Kindheit durchlaufen werden. Sie verschwinden, weil das Gehirn deines Kindes mit der Zeit in der Lage ist, bewusst Entscheidungen zu treffen. Anders gesagt: Ab einem gewissen Zeitpunkt werden frühkindliche Reflexe einfach nicht mehr gebraucht. Allerdings sind sie extrem wichtig im Entwicklungsverlauf deines Kindes, denn aus ihnen heraus entwickelt sich das Gehör, der Gleichgewichtssinn, die visuelle Wahrnehmung, Sprache, Koordination und Feinmotorik. Wenn es so weit ist, werden die frühkindlichen Reflexe von koordinierten Bewegungen abgelöst. Manche Reflexe bleiben aber auch ein Leben lang, wie beispielsweise Gähnen oder Husten.
In seltenen Fällen kommt es vor, dass sich bei einem Kind frühkindliche Reflexe nicht vollständig zurückbilden und somit die selbstständige Entwicklung des Kindes nicht komplett durchlaufen wird. Dann gibt es Rest-Muskelreaktionen des jeweiligen Reflexes, die das Kind und die Ausbildung mancher Fähigkeiten auch später noch beeinflussen. Das hört sich aber schlimmer an, als es tatsächlich ist. Wie du als Elternteil damit umgehen kannst und wie du die Entwicklung deines Kindes unterstützen kannst, verraten wir dir im Laufe dieses Artikels.
Die wichtigsten frühkindlichen Reflexe, die du kennen solltest sind:
Der Saug-Schluck-Reflex
Bereits in der 26. Schwangerschaftswoche bildet sich dieser Reflex aus. Beispielsweise nuckelt dein Kleines schon im Bauch am Daumen, Fingern oder sogar Zehen – vielleicht siehst du das auch schon während einer Ultraschalluntersuchung. Der Saugreflex sorgt dafür, dass das kleine Menschenkind nach der Geburt an der Brust oder der Flasche saugen kann. Der Schluckreflex ist wiederum dafür zuständig, dass die Nahrung auch ihren Weg durch die Speiseröhre in den Magen findet. Das macht diese beiden frühkindlichen Reflexe mit zu den wichtigsten überhaupt, denn dein Kind kann dank diesen Reflexen Nahrung aufnehmen.
Der Suchreflex
Legt man ein gesundes, neugeborenes Baby auf den Bauch seiner Mutter, passiert etwas Erstaunliches: Das Kind bewegt sich selbständig in Richtung Brust, saugt daran und trinkt, als hätte es nie etwas anderes gemacht. Dieser Suchreflex (in Kombination mit oben erwähnten Saug- und Schluckreflex) ist dafür zuständig, dass das Neugeborene die Brust sucht und findet. Dafür dreht es den Kopf hin und her, und zwar so lange, bis es die Nahrungsquelle findet, an der es saugen kann. Auslösen kann man den Reflex beispielsweise, indem man die Wange des Babys streichelt. Es dreht dann seinen Kopf automatisch in die Richtung, aus der die Berührung kommt und öffnet womöglich auch den Mund.
Der Greifreflex
Auch das hast du sicherlich schon einmal beobachtet: Wenn du einen Finger in die Hand deines Babys legt, wird dieser von der kleinen Hand fest umklammert. Streichst du wiederum über die zarte Fußsohle, dann rollt sich der Fuß ein. Dieser so genannte Greifreflex ist ein Relikt aus einer früheren menschlichen Epoche, als sich Säuglinge noch an die Mutter klammerten, wenn sie sich in Bewegung befand. Etwa ab dem vierten Lebensmonat deines Kindes verschwindet der Handgreifreflex, der Fußgreifreflex wiederum nach etwa elf Monaten.
Der Atemschutzreflex
Dies ist ein wichtiger Schutzreflex für dein Kleines: Gelangt Wasser in die Nase oder den Mund deines Babys, verschließen sich die Atemwege automatisch – das Wasser kann nicht in die Lunge gelangen. In der Regel verschwindet dieser Reflex aber nach wenigen Lebensmonaten und an dessen Stelle tritt der Hustenreflex, der uns Zeit unseres Lebens begleiten wird. Er befreit die Atemwege von Fremdkörpern und schützt uns ganz automatisch.
Der Moro Reflex
Ebenfalls ein Überbleibsel aus unserer evolutionären Vergangenheit ist der sogenannte Moro Reflex. Wenn sich dein Baby erschrickt, beispielsweise weil es von dir abgelegt wird, streckt es blitzartig Arme und Beine von sich und zieht sie dann wieder ruckartig zusammen. Dabei ballt es die Fäuste. Dieser Reflex diente einst dazu, dass sich das Neugeborene bei plötzlichen Bewegungen der Mama schnell an ihren Körper festklammern konnte. Aus gutem Grund kann man dieses Verhalten noch gut bei Affenbabys beobachten, die sich an das Fell des Muttertieres klammern. Der Moro Reflex sorgt oftmals dafür, dass dein Baby in den ersten Lebensmonaten nicht so gut einschläft oder auch mal zwischendurch ungewollt aufwacht. Hier kann Pucken Abhilfe leisten. Mehr zu dem Thema haben wir dir in diesem Artikel zusammengefasst. Übrigens: Zwischen dem dritten und vierten Monat verliert sich der Moro Reflex.
Der Schreitreflex
Dieser Reflex bleibt einem oft nach einer Untersuchung beim Kinderarzt oder der Kinderärztin im Gedächtnis. Bei der U3 wird überprüft, ob der Schreitreflex vorhanden ist – und zwar, indem der Arzt oder die Ärztin dein Kleines unter den Achseln hält. Sobald die Fußsohlen die Unterlage berühren, fängt dein Baby automatisch an, Gehbewegungen zu machen, zu “schreiten”. Ganz so, als würde es gleich loslaufen. Mit dem späteren Erlernen des aufrechten Gangs hat der Schreitreflex allerdings nichts zu tun. Stattdessen macht sich der Schreitreflex bereits im Mutterleib bemerkbar, sobald dein Kleines mit der Fußsohle an die Wand der Gebärmutter stößt. Zudem wird vermutet, dass der Schreitreflex eine besondere Rolle bei der Einnahme der richtigen Geburtsposition spielt. Mit etwa drei Monaten erlischt der Reflex.
Der Kriechreflex
Hierbei handelt es sich um eine Vorstufe des späteren Krabbelns. Er wird beispielsweise ausgelöst, indem du dein Baby auf den Bauch legst und dann auf die Fußsohle drückst. Dein Kleines beginnt dann zu kriechen. Der Reflex trainiert die Muskeln deines Babys und fördert die Koordination. Es ist ein schlaues Trainingsprogramm von Mutter Natur.
Der tonische Labyrinthreflex
Ein etwas komplexer zu erklärender frühkindlicher Reflex ist der Tonische Labyrinthreflex. Hier unterscheidet man zwischen dem Tonischen Labyrinthreflex vorwärts und dem Tonischen Labyrinthreflex rückwärts. Der TLR vorwärts bildet sich bereits ab der 12. SSW aus und ermöglicht es, deinem ungeborenen Baby sich in eine feutale Beugehaltung zu begeben. So kann es sich schön platzsparend in deinem Bauch gemütlich machen. Der TLR rückwärts ist wichtig für die Geburt und wird auch erst durch die vaginale Geburt ausgelöst. Nachdem das Kind auf die Welt gekommen ist, dient der TLR rückwärts als Trainingsprogramm für die Streckmuskulatur des kleinen Körpers. Es ermöglicht deinem Baby die Aufrichtung – und zwar entgegen der Schwerkraft. Der tonische Labyrinthreflex hat einen Einfluss auf den gesamten Muskeltonus – also die natürliche Spannung der Muskeln – und zwar vom Kopf abwärts.
Was ist, wenn frühkindliche Reflexe noch aktiv sind?
Es kommt bei manchen Kindern durchaus vor, dass sich Restreaktionen von noch aktiven Reflexen nicht selbstständig abbauen. Wenn auch zu einem späterem Zeitpunkt im Leben des Kindes Restreaktionen gibt, kann ein sonst reifes Kind ungewöhnlich sensibel auf Probleme reagieren. So kann beispielsweise die Körperhaltung und auch die Motorik eingeschränkt sein. Auch können ängstliche Verhaltensmuster sowie Schwierigkeiten beim Erlernen grammatikalischer Strukturen und andere Lese- und Schreibfähigkeiten auftreten.
Bei den Untersuchungen durch den Kinderarzt oder der Kinderärztin werden die frühkindlichen Reflexe und der Abbau dieser in der Regel gecheckt. Falls du bei deinem Kind eines der oben genannten Dinge beobachtest, ist es ratsam, mit dem Kinderarzt oder der Kinderärztin zu sprechen. Wenn ein oder mehrere frühkindliche Reflexe noch aktiv sind, musst du dir aber keine Sorgen machen – sondern nur aktiv werden. Mit Hilfe der sogenannten Reflexintegration kann man der Entwicklung deines Kindes auf die Sprünge helfen. Ausgebildete Ergotherapeut:innen können die Reflexintegration in mehreren Sitzungen durchführen. Die Therapie holt das nach, was während der selbständigen Entwicklung des Kindes nicht stattgefunden hat. Gemeinsam werden dann die Rest-Muskelreaktionen von aktiven frühkindlichen Reflexen abgebaut, so dass mögliche Lücken in der Entwicklung, Lern- oder Konzentrationsprobleme, aber auch motorische Schwierigkeiten bei deinem Kleinen rasch der Vergangenheit angehören.
Kurzum: Frühkindliche Reflex sind zur richtigen Zeit maßgebend für die gesunde Entwicklung deines Kindes. Ebenso wichtig ist es aber, dass die Reflexe auch wieder abgebaut werden – um weitere Entwicklungsfortschritte nicht zu “blockieren”. Wenn aber noch Restreaktionen von frühkindlichen Reflexen bei deinem Kind aktiv sind und sich nicht selbstständig abbauen, kann dies mit der richtigen Therapie – der Reflexintegration – gut behandelt werden.